Mittwoch, 11. April 2012

Zehn Jahre Internationaler Strafgerichtshof


Für viele Diktatoren ist der Internationale Strafgerichtshof eine reale Bedrohung. Doch das Gericht muss mit rechtsstaatlichen Verfahren kämpfen. Nun feiert der Gerichtshof Jubiläum.
"Das wichtigste ist – dass es ihn überhaupt gibt", hatte Hans-Peter Kaul, deutscher Richter am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, in der Aufbauphase immer wieder betont. Kaul gilt auch als einer der Hauptinitiatoren dieses ersten ständigen Weltgerichts zur Verfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord und Kriegsverbrechen. An diesem Mittwoch (11.04.2012) jährt sich die Gründung zum zehnten Mal.
Mit dem Internationalen Strafgerichtshof, der keine UN-Einrichtung ist, sondern auf einem Vertrag mit inzwischen 120 Unterzeichnerstaaten beruht, wurde eine klare Botschaft in die Welt gesandt: Straflosigkeit soll und kann beendet werden. Und das nicht nur in den Mitgliedsstaaten des sogenannten Rom-Statuts. Auch in allen anderen Staaten soll niemand mehr sicher sein, ungestraft mit schweren Verbrechen davon zu kommen. Der Gerichtshof kann allerdings nur über Individuen und nicht über Staaten zu Gericht sitzen.
Zwischen Machtpolitik und Menschenrechten
Hans-Peter Kaul, deutscher Richter beim Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag
"Der Anfang war mühsam und bescheiden", erinnert sich Richter Hans-Peter Kaul
Weil beschuldigte Machthaber aber meist alles tun, um eine mögliche Verantwortung zu verschleiern, gehörte dies von Anfang an zu den großen Herausforderungen des Gerichts: "Die Arbeit muss daher zwangsläufig im Spannungsfeld von brutaler Machtpolitik einerseits und von Menschenrechten anderseits stattfinden", so Hans-Peter Kaul.
Dieses Spannungsfeld hatte sich bereits in der Gründungsphase gezeigt: Die USA gehörten zu den größten Gegnern des Gerichts. Durch Abschluss bilateraler Verträge mit den Mitgliedsstaaten versuchte die Regierung sicherzustellen, das keine US-amerikanischen Staatsbürger an das Gericht überstellt werden. Zeitweise war von einer regelrechten Unterminierungskampagne der Bush-Administration die Rede. Sie hatte das Ziel, beitrittswillige Staaten möglichst von der Unterzeichnung des Rom-Statuts abzuhalten.
Lange Aufbauarbeit
lick auf das Gebäude des Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag (Foto: dpa)
Rund 1000 Mitarbeiter aus 70 Nationen arbeiten am ICC in Den Haag
Das Gründungsstatut des Internationalen Strafgerichtshofs war im Juli 1998 angenommen worden. Vier Jahr später konnte es in Kraft treten, nachdem sechzig Staaten es ratifiziert hatten. Erst dann hatte ein fünfköpfiges Vorausteam - darunter Hans-Peter Kaul - das damals noch völlig leere, fünfzehnstöckige Gebäude in Den Haag betreten und mit der Anschaffung von Büromöbeln, Telefonen und PCs begonnen. "Der Anfang war mühsam und bescheiden", berichtet Kaul.
Inzwischen arbeiten über 1000 Mitarbeiter aus mehr als 70 Nationen am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Sieben so genannte Situationen beschäftigen bislang das Gericht: aus Uganda, der Demokratischen Republik Kongo, der Zentralafrikanischen Republik, sowie den vom UN-Sicherheitsrat überwiesenen Fall Darfur/Sudan, Kenia, Libyen und die Elfenbeinküste. 23 Haftbefehle wurden ausgesprochen, aber nur sieben Gefangene inhaftiert. Die fehlende Unterstützung der Staaten bei der Festsetzung der Täter gehört zu den großen Problemen des Gerichts.
Pionierarbeit für die Opfer
Bis es 2009 zur Eröffnung des ersten Hauptverfahrens gegen den ehemaligen kongolesischen Rebellenführer Thomas Lubanga kam, verging eine lange Zeit. Zu lange? "Jeder Gerichtshof dieser Größenordnung mit einem so hohen Anspruch braucht eine Zeit, um seine Verfahrensordnung zu entwickeln", beteuert Jens Dieckmann, Opferanwalt am Internationalen Strafgerichtshof. Er verweist auf das Verfahren gegen den Serben Dusko Tadic vor dem Internationalen Gerichtshof für das ehemalige Jugoslawien, wo sich Verfahren und Urteilsspruch auch sehr lange hingezogen haben.
Darüber hinaus hat im Lubanga Fall nun ein Pilotverfahren stattgefunden: "Zum ersten Mal durften die Opfer in einem solchen Strafprozess eine besondere Rolle spielen, das war eine besondere Situation. Das Gericht musste erst einmal in vielen einzelnen Beschwerdeverfahren entscheiden, welche Rechte die Opfer haben." Auch die Rechte der Verteidiger bei der Ermittlung von entlastenden Beweisen mussten im Detail geklärt werden, bevor es zur Verfahrenseröffnung und zum Urteil kam.
"Das Sondertribunal für Jugoslawien hat in vielerlei Hinsicht Pionierarbeit geleistet", bestätigt Richter Hans-Peter Kaul. Es habe allerdings auch eine fragwürdige Praxis deutlich gemacht: Die enorme Ausweitung der Liste der Anklagepunkte. "Am Ende war es oft genug so, dass man Täter, denen man 200 verschiedene Vorwürfe gemacht hatte, nur wegen zwei oder drei konkret beweisbarer Vorwürfe schließlich überführen und verurteilen konnte."
Effizienzdruck steigt
In der Begrenzung und Abschreckung sieht auch Opferanwalt Dieckmann die besseren Chancen und Wirkungen des Internationalen Strafgerichtshofes. "Und zu einer Abschreckung gehört es natürlich auch, dass man zeigt, dass rechtstaatliche Verfahren möglich sind, die zu hohen und effektiven Verurteilungen führen. Andererseits aber eben auch rechtstaatliche Verfahren, die unter Umständen sogar zu einem Freispruch führen können."
Porträt von Rebellenführer Thomas Lubanga (Foto: AP)
Vom IStGH schuldig gesprochen: der kongolesische Rebellenführer Thomas Lubanga
Wegen angeblich fehlender Effizienz war der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs, der Argentinier Luis Moreno-Ocampo, immer wieder in die Kritik geraten. Er habe zu oft die Schlagzeilen gesucht und zu viele Untersuchungen und Verfahren eröffnet, heißt es in Insiderkreisen in Den Haag. Auch die Assembly of State Party, die Versammlung der Mitgliedsländer des Rom Statuts, hatte im Dezember 2011 deutlich gemacht: Der Gerichtshof ist zwar ein Erfolgsprojekt, aber eben auch ein Kostenfaktor. Ocampo, dessen Amtszeit im Juni 2012 ausläuft, wird demnächst von Fatou Bensouda aus Gambia abgelöst.
Erwartungen der Opfer
Am 14.03.2012 hatte der Internationale Strafgerichtshof sein erstes Urteil gesprochen: Der ehemalige kongolesische Rebellenführer Thomas Lubanga wurde wegen der gewaltsamen Rekrutierung von Kindersoldaten schuldig gesprochen. Ihm droht die Höchststrafe, lebenslange Haft.
Völlig offen ist bislang die Frage, was nach einer rechtskräftigen Verurteilung das Ergebnis für die Opfer sein wird. Wenn der Verurteilte keine Entschädigungsleistung zahlen kann, steht dafür beim IStGH ein Trust Fund zur Verfügung. "Und das wird noch eine Bewährungsprobe für dieses System", glaubt Anwalt Dieckmann, der aktuell Opfer aus sechs verschiedenen afrikanischen Ländern vertritt. Die Erwartungshaltung sei sehr groß und teilweise sehr spezifisch. So hätten zum Beispiel Witwen von ermordeten Soldaten alles verloren und sie lebten in großer Not. "Ihr größter Wunsch ist es, dass man ihren Kindern einen Schulbesuch und ein Leben in Würde ermöglicht."
Die Opfer hoffen nicht nur auf Entschädigung, sondern auch darauf, dass die historische Wahrheit durch die Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofs ans Licht kommt. "Dann können sie leichter mit ihrem weiteren Leben klar kommen", berichtet Hans-Peter Kaul aus entsprechenden Untersuchungen des Jugoslawien-Tribunals. Es helfe ihnen, wenn ihre Leiden anerkannt werden und vor allem nicht vergessen werden.

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