Mittwoch, 11. April 2012

Absturz eines Aufsteigers und Politstars


Ein Politikskandal erschüttert China: Bo Xilai, Parteichef der 30-Millionen-Stadt Chongqing, verliert alle Parteiämter. Vor dem Machtwechsel im Herbst 2012 versucht die Kommunistische Partei, Einigkeit zu demonstrieren.
Um genau 23:00 Uhr Pekinger Zeit bestätigte am Dienstagabend (10.04.2012) eine Meldung der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua jene Gerüchte, über die schon seit Tagen im Internet spekuliert worden war. Bo Xilai, noch bis Mitte Februar Parteichef von Chinas größter Stadt Chongqing, charismatischer Hoffnungsträger der so genannten "Neuen Linken", Sohn eines berühmten Revolutionsveteranen und Aushängeschild der gehobenen Kaste der "Prinzlinge", verliert seinen Platz im Politbüro und im Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Chinas. Damit ist seine steile Polit-Karriere am Ende. Gegen seine Frau Gu Kailai wird wegen Ermordung des britischen Geschäftsmannes Neil Heywood ermittelt. Nach Angaben von Xinhua hatten beide geschäftliche Differenzen. Heywood war im letzten November in einem Chongqinger Hotel tot aufgefunden worden. Die amtliche Diagnose lautete: Alkoholvergiftung. Die Leiche wurde schnell und ohne Autopsie eingeäschert.
Giftmord, Flucht, Hausarrest
Die Verbindung von Gu Kailai mit dem Tod des 41-jährigen Vertrauten der Familie Bo würde perfekt in das Mosaik der folgenden Ereignisse passen:
Wang Lijuns (Foto: AP Photo)
Wang Lijuns Flucht brachte die Affäre ins Rollen
Anfang Februar wird der Polizeipräsident von Chongqing, Wang Lijun, ohne Angabe von Gründen entlassen. Angeblich war es zuvor zu einer Auseinandersetzung mit Bo Xilai gekommen. Wang soll erklärt haben, seine Offiziere vermuteten, beim Tod Heywoods sei Gift im Spiel gewesen. Einen Bericht, in dem vom Alkoholtod die Rede war, wollten sie nicht unterschreiben.
Nachdem dann auch noch enge Mitarbeiter von Wang Lijun verschwinden, fürchtet der um sein eigenes Leben und flieht in das US-Konsulat im 300 Kilometer entfernten Chengdu. Polizisten aus Chongqing umstellen das Konsulat. Damit ist der Affäre internationale Aufmerksamkeit sicher - zum großen Verdruss der Pekinger Führung. Tags darauf verlässt Wang Lijun das Konsulat wieder - auf eigenen Wunsch, wie es heißt. Beamte aus Peking eskortieren den ehemaligen Polizeichef vorbei an den Polizisten aus Chongqing in die Hauptstadt Peking. Inzwischen wirft man ihm Hochverrat vor.
Es folgt der Nationale Volkskongress im März. Die jährliche Sitzung von Chinas Parlament soll reibungslos über die Bühne gehen. Bo Xilai hat seinen letzten öffentlichen Auftritt. Direkt nach Ende des Volkskongresses wird er am 16. März als Parteichef von Chongqing abgesetzt - ohne Angabe von Gründen. Seither steht der ehemalige Politstar unter Hausarrest. Und die Diskussionen um einen Machtkampf in den höchsten Kreisen der Partei wollen nicht mehr verstummen.
Machtkampf im Hintergrund
Bo Xilai strebte mit großem Ehrgeiz den Aufstieg in das Zentrum der Macht in China an - in den neunköpfigen ständigen Ausschuss des Politbüros. Auf dem 18. Parteitag im Herbst 2012 werden die Plätze neu besetzt. Die verschiedenen Seilschaften innerhalb der Partei rangeln dabei um möglichst viel Einfluss im höchsten Entscheidungsgremium Chinas.
Bo Xilai war ein prominenter Vertreter der sogenannten "Neuen Linken". Diese wollen die gesellschaftlichen Probleme Chinas wie die wachsende Schere zwischen Arm und Reich und die wachsende Korruption durch mehr Staat und mehr Kontrolle in den Griff bekommen.
Zugleich wollen sie an das revolutionäre Erbe anknüpfen. Bo Xilai ließ in Chongqing Werbung aus dem Fernsehen verbannen und revolutionäre Lieder aus der Mao-Zeit singen. Er trat eine Anti-Korruptionskampagne los, in deren Verlauf Tausende verurteilt und Dutzende hingerichtet wurden. Auf Recht und Gesetz wurde dabei weniger Wert gelegt.
Wen Jiabao (Foto:reuters)
Politisch hat Wen Jiabao andere Schwerpunkte als Bo Xilai
Auf der anderen Seite stehen liberale Kräfte um den Premierminister Wen Jiabao. Die wollen den Problemen des Landes mit mehr Reformen zu Leibe rücken, wollen weniger Staat und mehr Rechtstaatlichkeit. Erst kürzlich sprach sich Wen Jiabao dafür aus, das Monopol der großen staatlichen Banken zu brechen.
Für China-Beobachter Willy Lam hat sich hier vor den Augen der Welt ein klassischer Machtkampf abgespielt. Nachdem einen Monat lang hinter den Kulissen gerangelt worden sei, wollten die Parteiführer jetzt aber ein Bild der Einheit präsentieren. "Das liegt jetzt im Interesse aller Fraktionen", sagte Lam im Interview mit DW.DE. Den "Kuhhandel hinter den Kulissen" und die "Intrigen" würden wir erst dann verstehen, wenn der neue ständige Ausschuss des Politbüros feststehe.
Nach Skandal verschärfte Zensur
Ansicht Chongqing mit Kunstinstallation im Vordergrund (Photo: China Photos/Getty Images)
Chongqing – die größte Stadt Chinas
Die staatlich gelenkte Presse in China bringt Kommentare, in denen zur Einheit aufgerufen wird. So solle man zum Beispiel der Partei unter ihrem Generalsekretär Hu Jintao folgen. Das ist ein Indiz dafür, dass eben jene Einheit ein eher knappes Gut ist.
Auch aus den Weiten des Internets und der Mikroblogs sollen keine Störungen mehr kommen. In der Hauptnachrichtensendung des landesweiten Fernsehens CCTV versprachen am Dienstagabend die Chefs dreier einflussreichster Onlineportale, mit allen Mittel die Verbreitung von "Gerüchten" zu unterbinden. Die Suche nach den Namen Bo Xilai und seiner Frau in den chinesischen Kurznachrichtendiensten war schon seit Mittwoch nicht mehr möglich.

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