Sonntag, 8. April 2012

Süße Schokohasen mit bitterem Beigeschmack


Nicht nur zu Ostern: Die Deutschen essen gerne Schokolade. Doch Kakaobauern arbeiten oft unter schlechten Bedingungen - Kinderarbeit ist verbreitet. Das "Forum Nachhaltiger Kakao" soll Abhilfe schaffen.
Elf Kilo Schokolade vertilgt jeder Bundesbürger pro Jahr - statistisch gesehen. Damit ist Deutschland einer der wichtigsten Märkte für Kakao. 90 Prozent der Weltproduktion wird von 5 bis 6 Millionen Kleinbauern in Lateinamerika, Südostasien und vor allem in Afrika erzeugt. Allein 70 Prozent des weltweit gehandelten Kakaos wird in Westafrika hergestellt. Hauptexporteure dort sind die Elfenbeinküste, Ghana, Nigeria, Kamerun und Togo.

Eine 2009 durchgeführte Erhebung der Tulane Universität in New Orleans (USA) kommt zu dem Schluss, dass allein in der Elfenbeinküste und in Ghana jeweils mehr als 250.000 Kinder im Kakaoanbau unter Bedingungen arbeiten, die gegen die Normen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO und gegen nationale Gesetze verstoßen.

Deutschlands Verantwortung
Eine Frau beißt in eine Tafel Schokolade.  Foto: Oliver Berg (dpa)
Elf Kilo Schokolade isst jeder Bundesbürger statistisch pro Jahr
"Deutschland trägt als weltweit zweitgrößter Verarbeiter von Kakao eine besondere Verantwortung“, meint Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU). Über 10 Prozent der Weltkakaoernte gehen nach Deutschland und ein Großteil davon stammt aus Westafrika. Konkret: aus der Elfenbeinküste. Über das "Forum Nachhaltiger Kakao" sollen in Zukunft bessere Proudktionsbedingungen in den Erzeugerländern gefördert werden. Das Forum geht auf eine Initiative der Bundesministerien für Landwirtschaft und Entwicklung zurück. Ziel dieses Arbeitskreises ist es unter anderem, Kinderarbeit zu bekämpfen.

Neben sozialethischen Aspekten spielen aber auch wirtschaftliche Interessen eine Rolle: So soll die Versorgung der deutschen Schokoladen- und Süßwarenindustrie mit qualitativ hochwertigem Kakao sichergestellt werden. Beteiligt an der Initiative ist daher auch die Wirtschaft, etwa durch den Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie (BDSI) und den Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels (BVL). Beide übernehmen die Hälfte der Finanzierung des Forums, die andere Hälfte wird durch die Bundesregierung gedeckt. Für die Verwaltung wird die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) zuständig sein.

Ausweitung von Schulungsmaßnahmen und Finanzierung

Das Forum soll keine eigenen Projekte durchführen, sondern Einzelaktivitäten bündeln, die Kakaobauern beim der Erweiterung eines nachhaltigen Anbaus unterstützen. Nachhaltigkeit ist im ökonomischen, ökologischen und sozialen Sinne zu verstehen.

Dem Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie zufolge besteht eine konkrete Aufgabe des Forums darin, Schulungsmaßnahmen für Kakaobauern auszuweiten, die einige Großunternehmen bereits vor Ort durchführen.  "Fehlendes Wissen und fehlende Produktivität sind ein Hauptproblem beim Kakaoanbau", sagt Torben Erbrath, der Geschäftsführer des BDSI. Der Kakaoanbau sei anspruchsvoll und erfordere bestimmte klimatische Bedingungen. Mit gezielten Maßnahmen ließe sich der Ertrag der Ernten verdoppeln oder vielleicht gar verdreifachen - und damit auch das Einkommen der Kakaobauern.

Doch es werde auch Geld benötigt, um den Bauern Kredite für Investitionen zur Steigerung von Produktivität, Qualität und Effizienz bereitzustellen und auch, um die Infrastruktur der Anbaugegenden zu verbessern. Die sei in den ländlichen Tropengebieten, in denen Kakao angebaut wird, nämlich meistens mangelhaft. In dem "Forum Nachhaltiger Kakao" sieht Torben Erbrath daher auch ein Instrument, mit dem kleine und mittelständische Unternehmen als Geldgeber mit ins Boot geholt werden könnten.

Einheitliche Standards

Seinen Mitgliedern empfiehlt der BDSI den Anteil des nachhaltig produzierten Kakaos bis 2020 auf 50 Prozent und bis 2025 auf 70 Prozent zu steigern. "Das Ziel ist ambitioniert, aber realistisch", so Erbrath. Eine Steigerung auf 100 Prozent, wie es die Niederlande schon vor zwei Jahren beschlossen haben, hält er in Deutschland für utopisch, da Deutschland zehn Mal soviel Kakao importiert wie die Niederlande. Um eine Steigerung des Anteils nachhaltig produzierten Kakaos in den Süßwaren zu erreichen, müssten alle an der Produktions- und Handelskette Beteiligten mitwirken.

Hilfreich für den Nachweis, dass Ware mit nachhaltig produziertem Kakao hergestellt ist, könnte eine einheitliche Zertifizierung sein. Zur Zeit gibt es neben kleineren Organisationen drei große Zertifizierer, die Waren ein Siegel geben, bei deren Produktion soziale und ökologische Mindeststandards eingehalten wurden: die Fairtrade Labelling Organizations International (FLO), die Rainforest Alliance und Utz Certizied. Die Bauern erhalten für zertifizierten Kakao einen garantierten Mindestpreis. "Die Zertifizierung könnte mit einer europäischen Norm auf eine einheitliche Basis gestellt werden", sagt BDSI-Geschäftsführer Erbrath. Dieses Anliegen möchte die deutsche Süßwarenindustrie ins Forum miteinbringen
Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP).  Foto: Steffi Loos (dapd)
Dirk Niebel: Mitinitiator des Forums Nachhaltiger Kakao
Die branchenübergreifende Vernetzung aller Akteure, die in der Kakaoindustrie tätig sind oder die politischen Rahmenbedingungen schaffen, ist auch Sicht des Bundesentwicklungsministerium eine Grundlage für die Förderung der Nachhaltigkeit in der Branche. Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) betont den Mehrwert des Forums für alle Beteiligten: "Hier treffen sich die Anliegen der Entwicklungspolitik, der Verbraucher und der Wirtschaft. Die Verbreitung nachhaltiger und produktiver Anbaumethoden ist ein entscheidender Hebel zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Kakaobauern." Sie trage dazu bei, dass Kakaobauern ein angemessenes Einkommen erzielen können und so zum Beispiel für die Schulbildung ihrer Kinder, die medizinische Basisversorgung und das Wohlergehen ihrer Familien sorgen können. Niebel hat aber auch die wirtschaftlichen Anreize für deutsche Unternehmen im Blick: "Gleichzeitig können Unternehmen mit dem nachhaltigen Anbau als besonderem Qualitätsmerkmal werben und Verbraucher überzeugen.“

Schoko-Riegel sollten teurer werden

Der Volkswirtschaftler Friedel Hütz-Adams ist Kakao-Experte bei der Nichtregierungsorganisation Südwind. Er bewertet die Gründung des Forums Nachhaltiger Kakao als positiv. Gleichzeitig weist er aber darauf hin, dass man um eine Preisdiskussion nicht herumkäme: "Wenn man sich die inflationsbereinigten Preise anschaut, dann hat sich der Kakaopreis in den letzten fünfzig Jahren halbiert.   1980 haben die Bauern noch rund 5000 US-Dollar pro Tonne Kakao bekommen und zwanzig Jahre später waren es nur noch 1200 US-Dollar. Zugleich kostet eine Tafel Schokolade in Deutschland nur noch ein Viertel von dem, was sie 1950 kostete.“

Hütz-Adams macht insbesondere die  Machtverhältnisse in der Wertschöpfungskette dafür verantwortlich, dass die Bauern nicht dazu in der Lage seien, ihre Interessen stärker durchzusetzen. Angesprochen seien hier vor allem Großkonzerne wie Cargill oder Kraft Foods, die die Weiterverarbeitungs- beziehungsweise Schokoladenindustrie dominieren und damit großen Einfluss auf den Kakaopreis haben. Die Stabilisierung des Weltmarktpreises auf einem Mindestniveau sollte demnach ein Anliegen des Forums sein, fordert Südwind-Kakao-Experte Hütz-Adams. Wenn alle an der Produktions- und Handelskette Beteiligten an einen Tisch säßen, könnte niemand mehr die Verantwortung auf die jeweils anderen abwälzen.

Schließlich muss aber sichergestellt werden, dass das Geld auch bei den Kakaobauern ankommt. In einigen Ländern erhalten die Kakaobauern nämlich nur einen Teil des Exportpreises - etwa in der Elfenbeinküste, wo den Bauern noch gut 50Prozent verbleiben. Der Rest des Geldes bleibt in einem undurchsichtigen System von Zwischenhändlern stecken. So wird das Forum nicht ohne Beteiligung der Erzeugerländer auskommen.

Erste Kontakte auf bilateraler und internationaler Ebene haben bereits stattgefunden. Im März hat die Bundesregierung den Start des Forums vor der Internatiionalen Kakaoorganisation vorgestellt. Deren Exekutivdirektor Jean-Marc Anga sowie der Generalsekretär der kakaoproduzierenden Länder, Nanga Coulibaly, haben ebenfalls im März an einem Arbeitstreffen in Berlin teilgenommen.

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