Mittwoch, 11. April 2012

Die Schatzsucher vom Gottesberg


Deutschland hat keine Bodenschätze - dieser Satz galt nur, bis die Rohstoffpreise weltweit explodierten. Jetzt sollen im Erzgebirge alte Rohstofflager neu erschlossen werden.
Mit großem Bohrgerät geht es auf die Suche nach Zinn im Gottesberg Foto: Richard Fuchs
Mit großem Bohrgerät geht es am Gottesberg auf die Suche nach Zinn
Der Weg nach tief unten führt Geologe Jörg Reichert erst einmal eine steile Bergstraße hinauf. Sein weißer Geländewagen schlängelt sich kurvenreich von der 4000-Einwohner-Gemeinde Muldenhammer hinauf auf den Gottesberg. Er parkt auf einem mit Gras bewachsenen Plateau. Von hier, 800 Meter über dem Meeresspiegel, schweift sein Blick über das mit Fichtenwäldern bewachsene Hügelland des Erzgebirges. Das Nachbarland Tschechien ist hier, vom sächsischen Erzgebirge aus, nur wenige Kilometer entfernt. Jörg Reichert läuft zu einem blauen Lastwagen, an dessen Front ein Bohrkopf sich leicht schräg in den Boden senkt. Der Geologe überwacht Probebohrungen, die einen mehrere hundert Meter tief im Boden versteckten Schatz aufspüren sollen.
Die am besten vermessene Schatzkammer der Welt
"Unter unseren Füßen lagern ungefähr 120.000 Tonnen Zinn", erklärt Geologe Reichert, der im Auftrag der Deutschen Rohstoff AG arbeitet. Das 2006 gegründete Unternehmen sucht weltweit nach Gold und Silber, in Deutschland nach Öl, Gas und im Erzgebirge vor allem nach Zinn. Bestätigen die Probebohrungen Reicherts Annahmen, dann hat er in dem rund elf Quadratmeter großen Areal am Gottesberg das größte, noch nicht erschlossene Zinnerzvorkommen der Welt gefunden. Bei einem aktuellen Preis von rund 18.000 Euro je Tonne winkt den späteren Bergbau-Investoren ein Milliarden-Euro schweres Geschäft.
Für Geologe Jörg Reichert ist die Zinnsuche im Erzgebirge ein Abenteuer Foto: DW
Für Geologe Jörg Reichert ist die Zinnsuche im Erzgebirge ein Abenteuer
Noch allerdings ist das Zukunftsmusik. Rund um die Uhr gräbt sich der Bohrkopf am Tag 20 Meter tiefer in den Gottesberg - auf der Suche nach Schichten des Zinnminerals Kassiterit, aus dem Zinn herausgelöst werden kann. Nach Abschluss der Probebohrungen sollen die aus bis zu 400 Meter Tiefe nach oben geholten Bohrkerne einen ganzen Lagerraum füllen. Vermessen, nummeriert und in Holzkisten sortiert gehen die Bodenproben dann zu Speziallabors nach Schweden. Dort wird der Zinnerz-Gehalt nach international anerkannten Methoden errechnet.
"Wir wollen mit den Bohrungen das zu DDR-Zeiten entwickelte Lagerstätten-Modell bestätigen", erklärt Reichert. Denn auch wenn der sozialistische Teil Deutschlands seine heimischen Rohstoffe so gut wie kein zweiter Staat erkundet und vermessen habe: heute würden nur die Lagerstätten tatsächlich erschlossen, die von unabhängigen Gutachtern beispielsweise mit dem australischen Standard JORC (Joint Ore Reserves Committee) zertifiziert worden seien, erklärt er weiter.
Ein neues "Berggeschrei" hat begonnen
Oberberghauptmann Professor Bernhard Cramer gibt in Sachsen die Genehmigung für neue Rohstoff-Erkundungen Foto: DW
Oberberghauptmann Professor Bernhard Cramer gibt in Sachsen die Genehmigung für neue Rohstoff-Erkundungen
Dass Sachsens Bergbau enormes Potential bietet, davon ist Professor Bernhard Cramer überzeugt. In der nahe gelegenen Bergbaustadt Freiberg leitet er das Sächsische Oberbergamt, die erste Anlaufstelle für rohstoffhungrige Investoren in der Region. Wer Bodenschätze erkunden oder abbauen will, dessen Gesuch landet zuerst auf Cramers Schreibtisch. Und nicht nur am Gottesberg herrscht Goldgräberstimmung. Seit 2007 ist die Zahl der neuen Anträge auf Erkundung von Erzen und Spaten sprunghaft angestiegen – ganz gleich ob es sich dabei um mögliche Lagerstätten von Zinn, Wolfram, Kupfer, Zink, Kobalt, Flussspat oder den Metallen der Seltenen Erden handelt.
"Es hat in der 850-jährigen Bergbaugeschichte Sachsens bisher drei solcher Phasen gegeben", beschreibt Cramer jenen Wettlauf ums Erz, der im sächsischen Volksmund traditionell 'Berggeschrei' heißt. "Jetzt erleben wir gerade das vierte Berggeschrei". Dass vor allem die heute weltweit gestiegenen Rohstoffpreise den vormals unrentabel gewordenen Bergbau nach Sachsen zurückbringen könnten, das sieht Cramer nicht als Manko. "Eigener Bergbau bedeutet in jedem Fall, dass der Bezug von Rohstoffen sicherer ist". Dabei könnten die höheren Abbaukosten in Deutschland, verursacht durch hohe Löhne und strenge Umweltschutzauflagen, durch andere Vorteile aufgewogenen werden. Nicht zuletzt, durch eine Bergbautradition, die gelebt werde, sagt Cramer. "Eine Rückkehr des Erz- und Spatbergbaus wäre in breiten Teilen der Gesellschaft sehr positiv gesehen."
Muldenhammers Bürgermeister Jürgen Mann will, dass auch die Menschen vor Ort vom Rohstoffreichtum profitieren Foto: DW
Muldenhammers Bürgermeister Jürgen Mann will, dass auch die Menschen vor Ort vom Rohstoffreichtum profitieren
Bei Muldenhammers Bürgermeister Jürgen Mann findet Cramers Einschätzung ihre Bestätigung in der Realität. Im alten Herrenhaus, das seit geraumer Zeit als Gemeindeamt dient, hat er schon viele Hürden für die Rückkehr des Bergbaus aus dem Weg geräumt. Schnelle Genehmigungsverfahren, mehrere Informationsveranstaltungen, zahllose Einzelgespräche: Bürgermeister Jürgen Mann engagiert sich, weil ein Wiederaufleben des in den 1950er Jahren eingestellten Bergbaus am Ort jede Menge neuer Jobs bringen könnte. "Wir werden dafür sorgen, dass die letztendliche Wertschöpfung zum großen Teil hier in Muldenhammer bleibt", sagt er. Bis zu fünf weitere Arbeitsplätze, rechnet Jürgen Mann vor, könnte jeder Bergmann im Ort neu schaffen.
Rohstoffe recyceln statt neue plündern
Grünen Landesvorsitzender Sachsens Volkmar Zschocke will einen Teil der Rohstoffgewinne für Naturschutz und Rohstoff-Effizienzforschung reservieren Foto: DW
Grünen Landesvorsitzender Sachsens Volkmar Zschocke will einen Teil der Rohstoffgewinne für Naturschutz und Rohstoff-Effizienzforschung reservieren
Doch nicht alle sehen die Schatzsuche am Gottesberg als Chance. Im nahegelegenen Chemnitz arbeitet Volkmar Zschocke daran, dass die Renaissance des Bergbaus nicht zum Fluch für die schützenswerte Mittelgebirgslandschaft wird. Schließlich bereitet sich die historische Bergbauregion mit alten Kulturdenkmälern und zahlreichen Naturschutzgebieten auf eine Bewerbung als UNESCO-Weltkulturerbe vor. "Was wir nicht wollen ist, dass hier internationale Konzerne herkommen, um im Sinne der kurzfristigen Gewinnmaximierung die Lagerstätten auszuplündern", sagt der Landesvorsitzende der Grünen Sachsens. Der Politiker will verhindern, dass nur Dreck, Lärm und Altlasten vom neuen Bergbau übrig bleiben. Deshalb fordert er die Einführung einer Bergbauförderabgabe, durch die Investoren zehn Prozent des erzielten Rohstoffwertes an die Landesregierung abtreten müssten. Das sei Geld, das dann für die Forschung von Rohstoffrecycling verwendet werden könnte.
Auf dem Gottesberg scheinen politische Debatten wie diese dagegen in weiter Ferne. Seit dem 15. Jahrhundert wurde hier nach Erz gegraben, zwei Jahrhunderte später sogar an 40 Stellen gleichzeitig. Zwischen 1936 und 1954 herrschte regelrechte Goldgräberstimmung. Ob die auf den Gottesberg zurückkehrt? Auch Geologe Jörg Reichert kennt die Antwort darauf noch nicht. Erst im Sommer, nach Auswertung der Bohrkerne wird sich zeigen, ob sich der Abbau betriebswirtschaftlich rechnet. Bis dahin bleibt der einzige Schatz, den es schon jetzt auf dem Gottesberg zu finden gibt: seine Natur.

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