Sonntag, 8. April 2012

Kubicki greift FDP-Spitze frontal an

Angesichts desaströser Umfragewerte und baldiger Landtagswahlen verschärft sich der Streit in der FDP. Wolfgang Kubicki, Spitzenkandidat in Schleswig-Holstein, nennt den Vertrauensverlust der Wähler "tiefer als je zuvor". Zuvor hatte Parteichef Rösler mit seinem Vorgänger Westerwelle abgerechnet.
Berlin - Vier Wochen vor der Wahl in Schleswig-Holstein hat der Kieler FDP-Spitzenkandidat Wolfgang Kubicki die Spitze der Bundespartei scharf angegriffen. Er sagte der "Bild am Sonntag": "Der Prozess des Vertrauensverlustes ist tiefer als je zuvor. Ich habe in meinen 41 Jahren FDP-Mitgliedschaft und in 35 Jahren in Führungsgremien noch keine Phase erlebt, in der die FDP so lange in den Umfragen unter 5 Prozent gelegen ist." Kubicki ging auch mit dem neuen Leitbegriff "Wachstum" der FDP-Führung unter Parteichef Philipp Rösler scharf ins Gericht.
"So wie die FDP den Begriff Wachstum derzeit propagiert, können die Leute damit wenig anfangen", sagte Kubicki. "Was soll das denn sein? Familienwachstum? Haarwachstum? Wir müssen diese abstrakten Begriffe mit nachvollziehbaren Inhalten füllen. Daran mangelt es." Kubicki beklagte generell eine "unterirdische Kommunikation" der FDP mit den Bürgern. "Es ist gelungen, die FDP als kaltherzig, neoliberal, nicht mitfühlend darzustellen. Dazu haben wir aber auch einige Gelegenheiten geboten. Die Kommunikation mit unseren Wählern ist seit der Bundestagswahl 2009 unterirdisch."
Konkret bemängelte Kubicki den Umgang mit der von der FDP-Führung abgelehnten Finanztransaktionssteuer: "Es ist doch Unsinn zu behaupten, die Finanztransaktionssteuer sei in 27 EU-Staaten sinnvoll, allein in 17 Euro-Staaten aber nicht. Entweder taugt dieses Instrument, dann sollten wir es einführen - oder es taugt nicht. So gelten wir jetzt als Partei, die die Finanzmärkte schützen will."
Der Kieler will auf dem FDP-Bundesparteitag in zwei Wochen ein neues Denken in der Partei durchsetzen und dabei mit dem Spitzenkandidaten in Nordrhein-Westfalen zusammengehen. "Christian Lindner und ich werden auf dem Bundesparteitag mit Nachdruck dafür eintreten, dass man die FDP neu denken muss. Sonst verharren wir im Drei-Prozent-Keller. Neu denken bedeutet nicht, den Kurs zu ändern. Aber wir müssen den Menschen unser Programm so erklären, dass sie es verstehen können. Der FDP muss es um das Wohlergehen der Menschen in Deutschland gehen."
Rösler: "Ich habe die Partei neu ausgerichtet"
Der unter Erfolgsdruck stehende Parteichef Philipp Rösler arbeitet sich unterdessen immer noch an seinem Vorgänger Guido Westerwelle ab. In der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" griff Rösler die Politik von Westerwelle als zu einseitig an: "Die FDP hat sich zu lange auf das Thema Steuersenkung reduziert", sagte er. "Den Liberalismus auf die Formel mehr Netto vom Brutto zu verkürzen, das ist zu wenig."
Die Mehrzahl der FDP-Mitglieder sei erst nach dem Jahr 2000 in die Partei eingetreten - also während der Westerwelle-Jahre. "Sie sind in einer Partei groß geworden, die in der Außendarstellung auf ein Thema gesetzt hat." Das werde der Grundidee der Freiheit nicht gerecht. "Deshalb habe ich die Partei inhaltlich neu ausgerichtet", sagt er.
Rösler hofft, mit seinem neuen Begriff "Wachstum" wieder Wähler für die Liberalen begeistern zu können. Der umfasse sowohl Wirtschaftsthemen wie Schuldenabbau und Finanzmarktregulierung als auch Bildung, Kultur und familienpolitische Fragen. "Ich habe an Dreikönig neue Themen vorgegeben, und die Themen werden von der Partei transportiert", sagt Rösler der Zeitung. Auch bei der Wahl von Joachim Gauck zum Bundespräsidenten und bei der Debatte um eine Transfergesellschaft für Schlecker hatte Rösler versucht, Profil zu zeigen.
Doch sollte seine Partei auch bei den nächsten Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen an der Fünfprozenthürde scheitern, ist seine Zeit an der Spitze der Partei wohl beendet.
cai/otr/dpa
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,826314,00.html

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