Empört und entsetzt über die Veröffentlichung des Gedichts durch Günter Grass hat Israel den deutschen Autor zur Persona non grata erklärt und ein Einreiseverbot erteilt. Die Entscheidung ist im Land nicht unumstritten.
Der frühere israelische Botschafter in Deutschland, Avi Primor, sieht das von Innenminister Eli Jischai verhängte Einreiseverbot gegen Grass mit kritischen Augen. Die Maßnahme gegen den Literaturnobelpreisträger sei übertrieben und populistisch, sagte Primor in den ARD-Tagesthemen. "Ich glaube, dass der Innenminister gar nichts von Deutschland versteht. Er betreibt Innenpolitik." Für ihn sei Grass kein Antisemit. "Ich weiß, wovon ich spreche", ergänzte er.
Primor: Grass-Behauptung ist lächerlich
Gleichzeitig übte der Diplomat schwere Kritik am Werk "Was gesagt werden muss" des 84-Jährigen. Die darin aufgestellte Behauptung, Israel wolle den Iran auslöschen, sei lächerlich. Auch seien die Sorgen der israelischen Regierung berechtigt, dass der Iran Atomwaffen bauen könnte.
Avi Primor
Schließlich habe nicht nur der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad, sondern auch der oberste Führer des Irans, Ajatollah Ali Chamenei, von der Auslöschung Israels gesprochen, so der Diplomat.
Primor wies darauf hin, Teheran unterstütze terroristische Gruppierungen gegen Israel. Es bestehe eine echte Gefahr darin, dass der Iran diese Gruppen mit Atomwaffen ausrüste.
Der israelische Historiker Tom Segev bemängelte das gegen Grass verhängte Einreiseverbot als einen "absolut zynischen und albernen Schritt" des Innenministeriums. Die Motivation des Ministers zu diesem Schritt sei der Versuch, "seine politische Zukunft zu sichern", sagte Segev "Spiegel Online" mit Blick auf Spekulationen in der Knesset, ob Regierungschef Benjamin Netanjahu die Wahlen in Israel vorziehen wird. Die Vorwürfe des Autors an Israel bezeichnete der Historiker als substanzlos.
"Man sollte Grass den Nobelpreis aberkennen"
Israels Innenminister Jischai begründete seine Entscheidung vom Sonntag damit, das am Mittwoch veröffentlichte Gedicht des deutschen Schriftstellers sei "ein Versuch, die Flammen des Hasses gegen den Staat Israel und das israelische Volk anzufachen". Grass wolle so "die Idee weiterbringen, die er früher mit dem Tragen der SS-Uniform unterstützt hat". Im israelischen Rundfunk forderte der Minister von der religiösen Schas-Partei, man müsse Grass nun eigentlich den Literaturnobelpreis aberkennen.
Grass hat Israel unter anderem vorgeworfen, als Atommacht den Weltfrieden zu gefährden. Weiter behauptete er, dass der Iran von einem atomaren Präventivschlag durch Israel bedroht sei, der das iranische Volk auslöschen könne.
Der Text hatte weltweit für Aufsehen gesorgt und Grass unter anderem den Vorwurf des Antisemitismus eingebracht.
"Ein ekelhaftes Gedicht"
In Deutschland ging die heftige Kritik an dem Autor weiter. Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki sagte der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung", es sei "ein ekelhaftes Gedicht", das politisch und literarisch wertlos sei. "Der Iran will Israel auslöschen, das kündigt der Präsident immer wieder an, und Günter Grass dichtet das Gegenteil", sagte Reich-Ranicki, der als polnischer Jude nur knapp der Deportation in die deutschen Vernichtungslager entging. Der Schriftsteller Wolf Biermann verteidigte Grass "im Namen der Meinungsfreiheit". Sein Israel-Gedicht aber bezeichnete er als "literarische Todsünde".
Als bislang einziges Mitglied der Bundesregierung meldete sich Außenminister Guido Westerwelle zu Wort, ohne allerdings Grass beim Namen zu nennen. In einem Beitrag für die Zeitung "Bild am Sonntag" schrieb Westerwelle, Deutschland habe "eine historische Verantwortung für die Menschen in Israel". Deutschland teile mit Israel, der "einzigen wirklich funktionierenden Demokratie in der Region", den Glauben an die Rechte des Einzelnen, an Freiheit, Verantwortung und den Rechtsstaat. "Israel und Iran auf eine gleiche moralische Stufe zu stellen ist nicht geistreich, sondern absurd", fügte er hinzu.
se/wa (afp, dpa, dapd, epd, rtr)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen