Montag, 9. April 2012

Ausgebrannt an der Uni


Konzentrationsprobleme, Magenschmerzen, Depressionen - Immer mehr deutsche Studenten zeigen Symptome von Burnout. Das belegt eine neue Studie.
Vom entspannten, schönen Studentenleben kann bei vielen jungen Studierenden keine Rede mehr sein. Die psychologischen Beratungsstellen der Deutschen Studentenwerke schlagen Alarm: 83 Prozent der Berater beobachten eine zunehmende Überlastung und psychische Erschöpfung der Studierenden. Das belegen sie nun auch mit einer neuen Studie, die die Soziologin Doreen Liebold aus Chemnitz zusammengestellt hat.
DW.DE: Frau Liebold, der Begriff "Burnout" wird mittlerweile für alle möglichen psychischen Probleme verwendet. Was genau verstehen Sie darunter?
Doreen Liebold: Burnout bezeichnet für mich einen geistigen, körperlichen und emotionalen Erschöpfungszustand, der sich prozessartig über einen längeren Zeitraum hinweg entwickelt. Dabei ist es wichtig zu wissen, dass es sich bei dem Burnout-Syndrom nicht um eine Krankheit im eigentlichen Sinne handelt, sondern lediglich um eine sogenannte Zusatzcodierung in der internationalen Krankheitsklassifikation. Das bedeutet, Burnout wird nicht als primärer Grund für eine Krankschreibung angegeben, sondern als Diagnose wird dann eine Anpassungsstörung oder eine Depression aufgeschrieben.
Wie genau zeigt sich Burnout denn bei den Studenten?
Die Studenten leiden unter ganz unterschiedlichen Symptomen. Einerseits berichten sie über Leistungs-, Konzentrations- und Schlafstörungen sowie Magenprobleme, andererseits berichten viele Studenten, dass sie sich demotiviert und enttäuscht fühlen. Ihnen geht häufig die Freude und der Spaß am Studium verloren. Viele ziehen sich auch aus dem Freundes- und Familienkreis zurück.
Seit der Bolognareform vor mehr als zehn Jahren gibt es in Deutschland die Bachelor- und Masterstudiengänge, denen oft nachgesagt wird, dass sie für den Stress unter den Studierenden verantwortlich sind. Können Sie das in Ihrer Studie bestätigen?
Doreen Liebold hat für ihre Diplomarbeit im Fach Soziologie an der Technischen Universität Chemnitz die Ergebnisse einer Studie zum Thema Burnout bei Studierenden zusammengetragen. (Foto: Doreen Liebold)
Doreen Liebold
Ich habe in meiner Untersuchung die psychologischen Berater von 14 Deutschen Studentenwerken befragt. Sie sehen die Ursache für die zunehmenden psycho-sozialen Belastungen unter den Studierenden tatsächlich in der Bolognareform. Damit ist besonders die erhöhte Arbeitsdichte gemeint, die damit einhergehenden gestrafften Studienordnungen und die stark gestiegene Leistungserwartung, die die Hochschule und auch die Gesellschaft auf die Studenten ausübt. Viele haben Angst, dass sie - wenn sie den Anforderungen nicht genügen - später auf dem Arbeitsmarkt keine Chance haben. Und tatsächlich ist es ja auch so, dass ein akademischer Abschluss nicht mehr vor Arbeitslosigkeit oder prekärer Beschäftigung schützt.
Gibt es beim Thema Burnout einen Unterschied zwischen Studenten bestimmter Fächer?
Nein, das habe ich nicht feststellen können. Aber es gibt Unterschiede, wie sich Burnout bei Männern und Frauen zeigt. Männliche Studierende weisen Lern- und Arbeitsstörungen auf. Sie zeigen leichte Kontrollzwänge, Sozialphobien oder auch verschiedene Suchterkrankungen wie zum Beispiel eine Onlinesucht. Studentinnen dagegen leiden häufiger unter psychosomatischen Beschwerden oder depressive Verstimmungen. Sie haben oft Selbstwert- und Identitätprobleme und setzen sich mit überhöhten Leistungsanforderungen unter Druck.
Wer leidet häufiger unter Burnout - Männern oder Frauen?
Häufig wird die Meinung vertreten, dass Frauen stärker von psychosozialen Belastungen betroffen sind und empfindlicher auf Stress reagieren. Meine Studie zeigt, dass es so nicht ist. Die Männer sind in einem ähnlich starken Umfang und Ausmaß betoffen, aber sie sind Hilfe abweisender und kommen erst viel später in die Beratungsstellen. Unter Umständen sogar zu spät.
Die Studentenwerke bieten schon seit langem psychosoziale Beratung an. Müssen die Berater nach dem, was Sie in Ihrer Studie herausgefunden haben, umdenken?
Ein Umdenken ist sicher notwendig, aber es ist auch schwierig, mehr Angebote für betroffene Studierende vorzuhalten, weil es jetzt schon viel zu wenig Berater gibt. 53 Prozent der Fachkräfte haben das auch in meiner Umfrage angegeben. Wir können eher davon ausgehen, dass sich die Probleme künftig noch häufen werden. Schon in den vergangenen fünf Jahren haben die Berater einen deutlichen Anstieg der von Burnout betroffenen Studenten beobachtet. Da sich der Leistungs- und Konkurrenzdruck in unserer Gesellschaft zunehmend verschärft und auch keine Reform der Bachelor- und Masterstudiengänge in Sicht ist, werden künftig bestimmt noch mehr Studenten unter Symptomen von Burnout leiden.
Das Gespräch führte Svenja Üing.

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