In Tansania wurde auf ihn geschossen, im Südsudan wurde Guillaume Combot immer wieder verhaftet, in Berlin aber fühlt er sich willkommen. Der Franzose ist in drei Jahren von Kapstadt nach Deutschland gelaufen.
Wenn Guillaume Combot von Deutschland erzählt, kommt er ins Schwärmen: "Ich liebe dieses Land. Hier kannst du arm sein, und du wirst akzeptiert."
Combot lebt seit mehr als drei Jahren auf der Straße. Freiwillig. Er schläft in Abbruchhäusern, in Höhlen oder unter freiem Himmel irgendwo im afrikanischen Busch. Isomatte, Schlafsack und ein ruhiges Plätzchen. Mehr braucht der 33-Jährige nicht als Nachtlager.
Sein aktuelles Zuhause: ein Treppenaufgang im Zentrum von Berlin. Ganz in der Nähe des Potsdamer Platzes. Morgens improvisiert er mit Wasserflaschen eine kleine Dusche. "Ich bin kein obdachloser Tramp", betont Combot, "ich wasche mich jeden Tag, ich will sauber sein."
Radikal intensiv
"Ich habe mir diesen Lebensstil ausgesucht. Manchmal ist er mit Leiden verbunden, aber ich bin glücklich", sagt der hagere Franzose mit dem glattrasieren Schädel. "Lieber würde ich sterben, als auf ein radikal intensives Leben zu verzichten".
Zwischen 40 und 100 Kilometer liefen Combot und seine Begleiterin pro Tag
"Radikal intensiv" klingt aufregend, bedeutet aber vor allem Entsagung. Denn Combot reist mit wenig Gepäck und einem extrem reduzierten Budget. In Afrika waren es 1,50 Euro am Tag, in Europa rund fünf Euro. Das reicht, wenn überhaupt, gerade mal für das Nötigste.
Doch das ist Absicht: "Wenn du mit einem so niedrigen Budget wanderst, wird schon die Erfüllung deiner Grundbedürfnisse wie Essen, Trinken, Übernachten oder Waschen zu einem Abenteuer. Dann erlebst du auch die Gesellschaft und die Menschen ganz anders."
Übernachtungen in Hotels waren von Anfang an nicht eingeplant. Zu weit weg vom wirklichen Leben, meint der Extrem-Wanderer.
Durch Wüsten und Savannen
Combot und Nedelec im Süden Afrikas
Combots Abenteuer begann vor gut drei Jahren. Am 9. Februar 2009 verließ er das südafrikanische Kapstadt mit dem Ziel Paris. Vor ihm lagen 20.000 Kilometer, durch Afrika, den Nahen Osten, Ost- und Mitteleuropa. Zu Fuß, über Nebenstrecken, Waldwege, Pfade. Öffentliche Verkehrsmittel waren tabu.
Bis Jerusalem begleitete ihn die Französin Enora Nedelec. Nicht überall stießen die beiden auf Verständnis. In Südafrika und Mosambik, erzählt Combot, "fühlten wir uns willkommen". In Malawi, Tansania und Uganda aber waren die Menschen skeptisch.
Weiße gelten dort, nicht ganz zu Unrecht, prinzipiell als reich. "Die Leute konnten sich nicht vorstellen, dass Weiße freiwillig zu Fuß das Land durchqueren und irgendwo im Busch schlafen. Sie glaubten, dass wir nur so tun würden, als ob wir arm seien und sie in Wirklichkeit ausnutzen wollten."
Eingeladen wurden die Wanderer in diesen Ländern nur selten. Und so schliefen Combot und Nedelec in der Regel irgendwo in der Wildnis, aus Sicherheitsgründen möglichst weit entfernt von der Zivilisation.
Dass diese Vorsichtsmaßnahme nicht ganz unbegründet war, zeigte sich in Tansania. Dort wurde auf die beiden geschossen. Die Kugel verfehlte ihr Ziel, Combot und Nedelec kamen mit dem Schrecken davon.
Trotzdem hat der Dauer-Wanderer nie an seinem Vorhaben gezweifelt: "Ich bin ein Optimist. Ich denke immer, dass es zehn Kilometer weiter wieder besser wird."
Im Kriegsgebiet
Krieg als Alltag: Waffen sind im Sudan allgegenwärtig
Diesen Optimismus brauchte Combot auch im Südsudan. Das Land, inzwischen ein eigenständiger Staat, war jahrzehntelang Bürgerkriegsgebiet. Die Gewalt hat den Südsudan geprägt. Bewaffnete sind omnipräsent. Schießereien gehören noch immer zum Alltag.
Immer wieder musste Combot, im Südsudan war er ohne seine Begleiterin unterwegs, Kontrollen erdulden. Manchmal wurde er mehrmals täglich festgenommen. Musste sich entkleiden, auf den Boden knien. Das Gefährlichste sei immer der Moment gewesen, wenn Soldaten auftauchten: "Da musst du extrem aufmerksam sein. Wenn du einen Fehler machst, dich zu schnell bewegst oder dem falschen Bewaffneten in die Augen schaust, kannst du ganz schnell erschossen werden."
Viele der Soldaten im Südsudan sind minderjährig. "Manchmal waren sie betrunken, wollten mir zeigen, wieviel Macht sie haben. Drohten, mich zu erschießen." Und auch wenn er sich relativ sicher gewesen sei, dass sie es nicht tun, habe er jedes Mal unter extremer Anspannung gelitten. "Ich habe noch nie so viel Angst gehabt. Jeden Tag habe ich um mein Leben gefürchtet".
Rastloser Wanderer
Warum tut er sich das an? Combot schmunzelt: "Ich wusste ja, was mich erwartet. Das war eine Herausforderung. Ich habe das für mein Ego gemacht." Die schwierige Zeit im Südsudan, die Angst vor Bewaffneten, Landminen und wilden Tieren, habe ihm Selbstvertrauen gegeben. "Jetzt weiß ich, dass die verbliebenen Ängste in meinem Leben im Vergleich dazu lächerlich sind. Ich weiß jetzt, dass alles möglich ist." Doch er weiß, es hätte auch schief gehen können.
Belohnung für Entbehrungen: In den muslimischen Staaten wurde Combot regelmäßig eingeladen
Kriegsreporter können häufig nicht mehr ohne den Kriegseinsatz leben, Extremsportler suchen ständig neue Herausforderungen. Auch Combot braucht die Extreme. "Ich wünschte, ich könnte ohne das Adrenalin leben". Einen "normalen" Alltag, mit einem Bürojob von neun bis fünf, das kann er sich nicht vorstellen.
Der Extrem-Wanderer war schon immer rastlos. Schon mit 17 verließ Combot sein Elternhaus, versuchte sich in verschiedenen Berufen, ging als Mönch ins Kloster oder arbeitete als Tsunami-Nothelfer in Südostasien.
"Hier könnte ich leben"
Deutschland aber hat es dem Franzosen angetan. Seit gut zwei Monaten ist er hier unterwegs. Vorher ist er quer durch Osteuropa gelaufen. Deutschland, so Combot, sei seit den muslimischen Staaten das herzlichste Land. In manchen osteuropäischen Ländern habe niemand mit ihm gesprochen. In Deutschland sei das anders: "Die Leute sind überhaupt nicht arrogant, haben keine Angst, interessieren sich für mich."
Die Deutschen seien sehr gastfreundlich: Schon mehrmals sei er eingeladen worden. "Ich bin begeistert vom Respekt der Menschen gegenüber der Umwelt und wie sie mit den Tieren umgehen". Und vor allem fühle er sich sicher: "Ich kann hier mitten in einem Dorf auf einer Bank schlafen, und niemand wird mich beklauen".
Die deutsche Gesellschaft, glaubt Combot, sei "fast perfekt". Sollte er eines Tages doch noch mal sesshaft werden, dann könne er sich sogar vorstellen, in Deutschland zu leben.
Im Moment aber weiß Combot nicht, wohin ihn seine Wanderung führt. Zwar ist Paris das offizielle Ziel, hier macht er die 20.000 Kilometer voll. Doch er überlegt schon jetzt nach Großbritannien und Nordeuropa weiterzulaufen. "Wer weiß", sagt Combot schmunzelnd, "vielleicht mache ich das ja mein ganzes Leben lang."
Mehr Infos: http://www.20000km.com
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen