Mittwoch, 11. April 2012

Minderheiten verbünden sich gegen Assad


In Syrien verbünden sich die bislang künstlich auseinanderdividierten Minderheiten gegen das Assad-Regime. Klug geführt, könnte das Zweckbündnis die Gruppen dauerhaft aneinanderbinden.
Syrien ist ein vielfältiges Land. An der Grenze zwischen arabischem und türkischem Kulturraum gelegen, haben sich dort über die Jahrtausende die unterschiedlichsten Bevölkerungsgruppen niedergelassen. Die meisten Bürger sind Anhänger des Islams, einer Religion, die sie eint, doch zugleich auch trennt. Denn auch der Islam ist vielfältig: Rund drei Viertel der Syrer sind Sunniten, rund ein Zehntel, darunter auch die herrschende Assad-Familie, gehört den schiitischen Alawiten an. Dazu kommen weitere islamische oder dem Islam entsprungene Konfessionen: Drusen, Ismailiten, Aleviten und Zwölfer-Schiiten. Sie alle machen zusammen rund 7 Prozent aus.
Zu den Muslimen gesellen sich die Christen. Auch sie sind eine gemischte Gruppe: Griechisch-, Katholisch- und Syrisch-Orthodoxe, Maroniten, Melektiten, Armenisch-Apostolische, syrisch-katholische und griechisch-katholische Christen, dazu Mitglieder der Chaldäischen Kirche. Sie alle machen ungefähr 15 Prozent der rund 21 Millionen Syrer aus.
Quer zu den religiösen kommen die ethnischen Minderheiten: Kurden, Turkmenier, Tscherkessen, Aramäer und Asyrer. In den letzten Jahren und Jahrzenten wanderten zudem rund 600.000 palästinensische und irakische Flüchtlinge in das Land ein.
Konfessionelles Miteinander
Junge Christinnen feiern das Osterfest (Foto: ddp images)
Auch sie gehören zu Syrien: Junge Christinnen feiern das Osterfest
Zwar ist Syrien kein Schmelztiegel, in dem sich die verschiedenen Gruppen zu einer Kulturnation neuen Typs vermischen. Aber es ist auch kein Kessel, der unter ethnisch-kulturellem Druck zu platzen droht. Lange Zeit, erklärt der syrische, seit 40 Jahren in Deutschland lebende Schriftsteller Rafik Schami, hatten die verschiedenen Minderheiten weder untereinander noch gegenüber der sunnitischen Mehrheitsbevölkerung nennenswerte Probleme. In seiner Kindheit, berichtet Schami, hatte er einen Freund, von dem er, der Christ, jahrelang nicht wusste, dass er Muslim war. "Das war auch nicht nötig", erklärt Schami, "denn wir spielten miteinander. Mehr brauchte es nicht."
Es brauchte nicht mehr, weil die Grenzen, die die Syrer trennten, entlang anderer als religiöser oder kultureller Linien verliefen. Die Bevölkerung teilte sich vor allem auf Grundlage geo- und soziografischer Faktoren: Land- versus Stadtbevölkerung, Bewohner der Berge gegen die der Wüste oder der Küste. In früheren Zeiten hatten die Nomaden eine andere Lebensweise als Sesshafte. Auch im Lebensstil unterschieden sich die Menschen: Die einen pflegten eine offene, metropolitane Lebensweise. Andere zogen es vor, unter sich zu bleiben. Die einzelnen Regionen und Städte wiederum kannten begüterte und weniger begüterte, gebildete und ungebildete Schichten. Syrien war lange Zeit ein buntes Biotop.
Karte Syriens (Grafik: DW) ---
Die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen verteilen sich über das gesamte Staatsgebiet
Gleichwohl hatten alle Gruppen ihre Zentren: Die Alawiten zog es vor allem ins Nuisayri Gebirge sowie nach Homs und Hama. Die Ismailiten leben traditionell in den Bergen entlang der Küste, während griechisch-orthodoxe und griechisch-katholische Christen als Wohnorte vor allem Damaskus, Latakiya und die angrenzenden Küstengebiete bevorzugten. Die Kurden haben sich überwiegend im Taurus-Gebirge und entlang der syrisch-türkischen Grenze sowie im "Hay al-Akrad", dem "Kurdenviertel" in Damaskus, angesiedelt.
Konkurrierende Identitäten
Das moderne Syrien entstand im Zuge des europäischen Kolonialismus. Während die Großregion "Balad al-Shams" unter der Herrschaft der Osmanen noch die Gebiete der heutigen Staaten Israel, Libanon und Syrien und die Palästinensergebiete umfasste, teilten Briten und Franzosen die Region seit 1918 in Provinzen auf, aus denen dann die heutigen Einzelstaaten entstanden. In jener Zeit setzte auch die kulturelle und vor allem religiöse Spaltung der bislang friedlich nebeneinander lebenden Bevölkerungsgruppen ein. Frankreich rekrutierte für sein lokales Heer, die so genannten "Troupes Speciales du Levant", vor allem Angehörige der religiösen Minderheiten. Ganz bewusst setzten die Franzosen auf eine Taktik, die die Minderheiten in Gegensatz zur Mehrheit der Sunniten brachte. Den Kunstgriff, einzelne Bevölkerungsgruppen gegeneinander auszuspielen, übernahm nach seinem Putsch im Jahre 1970 auch der dann zum Präsidenten ernannte Hafiz al-Assad, Baschars Vater.
Gregorios III. Lutfi Laham in der Kirche (Foto: EPA)
Kultureller Reichtum: Gregorios III. Lutfi Laham, Geistliches Oberhaupt der Melktiten, feiert die Ostermesse
"Assad", erklärt der Schriftsteller Rafik Schami, "verteilte Gunst und Posten vor allem an Personen, die ihm gegenüber loyal waren und an solche, die seiner eigenen Gruppe, den Alawiten, angehörten. Auf diese Weise schuf er ein konfessionelles Regime, wie es die Syrer vorher nicht kannten." Gleichzeitig banden die Assads aber auch Angehörige anderer Schichten an sich – nicht zuletzt die der sunnitischen Wirtschaftselite. Die Privilegien, die sie durch diese Bindung erhielten, veranlasste viele von ihnen, sich zu Beginn der Aufstände auf die Seite des Assad-Regimes zu stellen. "Viele Sunniten", erklärt Rafik Schami, "wurden reich auf Kosten der übrigen Bevölkerung. Darum stehen sie zu Assad. Und sie werden ihre Verbindung zu ihm erst dann brechen, wenn die Verbindung zu ihm schlechter wird."
Vereint durch die Gegnerschaft zu Assad
Weil aber so viele Syrer nur die autoritäre Seite des Regimes kennengelernt haben, rekrutiert sich der Widerstand gegen die Regierung Baschar al-Assads aus sämtlichen Bevölkerungsgruppen, erklärt Ferhad Ahma, Mitglied des Syrischen Nationalrats. "Ganz unabhängig von ihrer ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit wünschen die meisten Syren einen demokratischen Wechsel." Das heiße aber nicht, dass sie nach den langen Jahren bewusst herbeigeführter religiöser und ethnischer Konkurrenz ihr Misstrauen gegeneinander und vor allem gegen die sunnitische Mehrheit überwunden hätten. "Die Minderheiten bestehen darauf, dass ihre Rechte im künftigen Syrien klar definiert werden. Sie sind in dieser Hinsicht durchaus zu Recht besorgt. Denn sie sehen, dass in manchen Nachbarländern, etwa dem Irak oder der Türkei, der Umgang mit den zahlenmäßig kleinen Gruppen alles anderes als optimal ist."
Allerdings hätten auch viele Alawiten Angst, erklärt Rafik Schami. Denn längst nicht alle unterstützten das Regime der Assads. Deswegen dürfe man sie auch nicht kollektiv beschuldigen oder gar dazu drängen, öffentlich auf Distanz zur Regierung zu gehen. "Die Alawiten sind vorsichtig. Das muss man respektieren. Dann reden sie offen, und dann erweist sich, ob ein Alawit ein Anhänger des Regimes ist oder nicht. Aber man sollte sie nicht dauernd vor Mikrofone zerren und auffordern, ein Statement gegen Assad zu geben. Vor allem im Ausland sollte man darauf verzichten. Denn die Alawiten haben Verwandte in Syrien, und die sind Geiseln des Regimes."
Eine Verfassung für alle Bevölkerungsgruppen
So beteiligten sich alle Gruppen am Widerstand gegen Assad, erläutert Ferhad Asmah. Natürlich gebe es auch Sorgen im Hinblick auf die Zukunft. Doch die syrische Opposition sei auf einem guten Weg, die Probleme zu lösen. "Es finden jetzt auch Verhandlungen mit Vertretern der Minderheiten statt, um klare Konzepte und Thesen zu entwerfen und die Rolle der Minderheiten und ihre Rechte in der Verfassung – und nicht nur in einfachen Gesetzen – zu verankern, damit es dann in der Zukunft auch eine Garantie für sie gibt."
Die Assads trugen maßgeblich dazu bei, die syrischen Bevölkerungsgruppen künstlich auseinanderzudividieren. Jetzt finden diese Gruppen durch die gemeinsame Gegnerschaft zu dem Regime wieder zueinander. Im Moment sind sie Bundesgenossen auf Zeit. Eine kluge Politik könnte dafür sorgen, dass sie Bundesgenossen auf lange Sicht bleiben.

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