Träume und Albträume im Kino - Neue Filmbücher hinterfragen die Wesensverwandschaft von Film und Traum, die Wahrhaftigkeit von Antikriegsfilmen und die Bedeutung von Drehbüchern für die Regisseure.
"Die Film/Traum-Analogie krankt häufig schon daran, dass die beiden Phänomene nur ungenau erfasst werden" schreibt Matthias Brütsch in seinem Buch "Traumbühne Kino" und fährt fort: "Ebenso problematisch erscheint die Art und Weise, wie Film und Traum sodann miteinander in Beziehung gesetzt werden." Nach Lektüre des Bandes, der eine Dissertation an der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich zugrunde liegt, wird man sich hüten noch einmal leichtfertig zu behaupten, der Film und der Traum, dass sei doch ein Zwillingspaar.
Traumbühne Kino
Brütschs umfassende Studie klärt zunächst auf, warum zu Beginn der Filmgeschichte "nicht der Traum im Film, sondern der Film als Traum die Aufmerksamkeit" der Filmtheoretiker und -kritiker fast vollständig auf sich gezogen hat. Die großen Theorieväter des Kinos, Siegfried Kracauer, Jean Mitry und andere, haben sich alle dem Phänomen gewidmet. Doch natürlich geht es im Buch dann auch um die großen Traumsequenzen der Filmgeschichte, unter denen die von Salvador Dalí (in Alfred Hitchcocks "Spellbound") immer noch die bekanntesten sein dürfte. Doch so nahe standen sich Traum und Film nicht immer, auch wenn der Siegeszug der siebten Kunst, so Brütsch, just in dem Moment begann, als sich das Traumverständnis mit Siegmund Freuds neuen Ansichten radikal zu ändern begann.
Kinomagier Ettore Scola
Die Geschichte des Mediums hatte auch der italienische Regisseur Ettore Scola stets im Blick. In den 1980er Jahren gehörte er zu den Größen des europäischen Films, seine jeweils neuesten Arbeiten füllten die Programmkinos in vielen Ländern. Daran wird man bei der Lektüre des Bandes "Film Konzepte 23: Ettore Scola" erinnert. Das europäische Autorenkino hatte damals noch seinen festen Platz in der Kinoszene und agierte selbstbewusst neben Hollywood. Die große Zeit der Blockbuster stand noch bevor, auch die alles beherrschenden Multiplex-Kinos zeichneten sich erst am Horizont der Kinozukunft ab.
Scolas "Flucht nach Varennes", der stumme Tanzfilm "Le Bal" oder "Splendor" verzauberten das Publikum mit einer Mischung aus Poesie, filmischem Wagemut und einem melancholischen, manchmal auch sentimentalen Blick auf die italienische Gesellschaft. Begonnen hatte Scola allerdings schon viel früher und mit einem weitaus bissigeren Blick, unter anderem mit einem Film, dessen Titel sich eingeprägt hat, nicht nur bei Cineasten: "Die Schmutzigen, die Hässlichen und die Gemeinen".
Schlachtfeld Kino
Waren es bei Scola vor allem die Schlachten in Familie und Beziehung, so geht es dem Marburger Filmwissenschaftler Burkhard Röwekamp in seinem Buch "Antikriegsfilm - Zur Ästhetik, Geschichte und Theorie einer filmhistorischen Praxis" um die Auseinandersetzungen der Nationen auf den Schlachtfeldern der Welt - und dem, was das Kino daraus gemacht hat. Schon seit Beginn der Filmgeschichte hat sich der Kriegsfilm/Antikriegsfilm als eigenständiges Genre etabliert. Warum ein Kriegsfilm überhaupt zum Antikriegsfilm werden kann, dafür bietet Röwekamp eine knappe Formel an: "Antikriegsfilme werden immer ganz einfach dann möglich, wenn sich affektiv-kognitive Rezeptionsbedingungen ergeben, in denen sie als solche gelten können."
Dem Streit, ob denn beispielsweise Francis Ford Coppolas legendärer Dschungelfilm "Apocalypse Now" nun ein Antikriegsfilm oder durch seine martialisch inszenierten Kriegszenen doch eher ein Kriegs-Film ist, begegnet der Autor mit dem Satz: "Wie in einem Brennglas wird hier die ambivalente Struktur des Krieges zur Gewissheit seines widersinnigen, nur noch sinnlich erfahrbaren Wesens verdichtet. Die Apokalypse, von der der Filmtitel spricht, meint die existenzielle Auslöschung jeden Sinns als überzeitliche Essenz des Krieges." Das ist kompliziert ausgedrückt, meint aber doch eines: Für Röwekamp ist Coppolas Film ein Anti-Kriegsfilm. Auch Klassiker wie "Im Westen nichts Neues" von Lewis Milestone, "Wege zum Ruhm" von Stanley Kubrick oder Godards "Die Karabinieri" und der deutsche Skandalfilm "O.K." von Michael Verhoeven, der 1970 bei der Berlinale einen handfesten Skandal auslöste, werden analysiert und in Beziehung zueinander gesetzt.
Schreiben übers Schreiben
Neben Biografien über Regisseure, Texten über die verschiedenen Filmgenres und Prachtbänden über Schauspielerinnen und Schauspieler gehören Handbücher für angehende Drehbuchautoren zu den beliebtesten und meistverkauften Filmbüchern der vergangenen Jahre. Das Jahrbuch "Scenario, Film- und Drehbuchalmanach" ist jedoch nicht der soundsovielte Aufguss und Versuch Tricks und Tipps für Nachwuchsautoren neu aufzubereiten, sondern versammelt Essays und Beiträge von Autoren und Kritikern zu bestimmten Aspekten des Drehbuchschreibens. Besonders gelungen in der nun vorliegenden sechsten Ausgabe des Jahrbuches ist Thomas Knaufs Erzählung über eine dem Kino verfallene Bundeskanzlerin Angela Merkel. Das ist dann eher ein Wunschtraum.
"Traumbühne Kino" von Matthias Brütsch ist im Schüren Verlag erschienen, 420 Seiten, (ISBN 978 3 89472 517 4); der Band über Ettore Scola ist in der Reihe "Film Konzepte" im Verlag text + kritik herausgekommen, 106 Seiten, (ISBN 978 3 86916 135 8); beim gleichen Verlag liegt Burkhard Röwekamps Studie zum "Antikriegsfilm" vor, 246 Seiten, (ISBN 978 3 86916 121 1); beim Bertz-Verlag ist "Scenario 6/Film und Drehbuch-Almanach" erschienen, 350 Seiten, (ISBN 978 3 86505 216 2).
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